„Unsere Orientierung ist die Freiheit“ - Ministerpräsident a.D. Volker Bouffier sprach zum 17. Juni 1953 in Neustadt
130 interessierte Damen und Herren waren am 19. Juni 2023 in das Kultur- und Bürgerzentrum gekommen, um an einer weiteren zeitgeschichtlichen Veranstaltung der Stadt Neustadt (Hessen) teilzunehmen.
Hessens langjähriger Ministerpräsident Volker Bouffier (2010-2022) sprach an diesem Abend anlässlich des Gedenkens an die Geschehnisse des 17. Juni 1953 in der damaligen DDR.
Nach gekonnter Einleitung durch das Trio „Semplice“, diesmal wieder plus 1, begrüßte zunächst Bürgermeister Thomas Groll die Anwesenden und freute sich u.a. Landtagsabgeordneten Dirk Bamberger, Kreistagsvorsitzenden Detlef Ruffert, Stadtverordnetenvorsteher Franz-W. Michels, die Ehrenbürger Manfred Vollmer (Stadtallendorf) und Willibald Preis (Kirchhain), Albert-Frederick von Dörnberg und Vertreter der Patenkompanie aus Stadtallendorf willkommen heißen zu können. „Dass wir erneut einen Rekordbesuch verzeichnen können, spricht für diese Veranstaltungsreihe“, so der Bürgermeister. Später stellte Volker Bouffier fest, dass wohl keine andere Stadt oder Gemeinde in Hessen seit über einem Jahrzehnt eine solche permanente Bildungsveranstaltung durchführe. Daher gratuliere er Kommune und dem Bürgermeister als Initiator hierzu.
Thomas Groll nannte eingangs nochmals die wichtigsten Fakten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953. Fast in der gesamten DDR demonstrierten über 1 Mio. Menschen für Freiheit, Demokratie und verbesserte Arbeitsbedingungen. Die sowjetische Besatzungsmacht schlug den Aufstand mit Panzern nieder. Mindestens 55 Menschen starben, 15.000 wurden verhaftet und über 1.000 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Als Folge der damaligen Geschehnisse wurde die Staatssicherheit ausgebaut und die DDR zum „Spitzelstaat“.
Joachim Wermann floh 1952 mit 16 Jahren aus dem Erzgebirge in den Westen und fand wie viele andere Gelenauer auch in Neustadt eine 2. Heimat. Er trug ein kleines Gedicht zu den damaligen Geschehnissen vor und gedachte der Toten des Aufstandes. Ein authentischer Beitrag, der persönliche Betroffenheit zeigte, so Volker Bouffier anschließend.
Der ehemalige hessische Ministerpräsident spannte in seiner fünfundvierzigminütigen Rede, die er ohne Manuskript hielt, den Bogen vom 17. Juni 1953 über den 9. November 1989 bis hin zur Gegenwart mit dem Ukraine-Krieg.
Er stellte fest, dass die Menschen immer Orientierung bräuchten und die Freiheit des Einzelnen die beste Wegweisung sei. Hierfür hätten die Menschen vor siebzig Jahren in der DDR demonstriert. 1956 seien ihnen die Ungarn gefolgt, 1968 Tschechen und Slowaken und 1981 die Polen. „Freiheit lässt sich durch kein politisches System unterdrücken. Die Sehnsucht der Menschen danach lässt über kurz oder lang Diktaturen stürzen“, so der ehemalige Spitzenpolitiker.
Bouffier rief dazu auf, die Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen. „Wer weiß denn schon, welchem Land Putin danach die Freiheit nehmen will? Die Erfahrungen von 1938 müssen uns hier Mahnung sein, Entschlossenheit zu zeigen“, so Bouffier auf das Münchner Abkommen anspielend.
Aber auch im Inneren müsse der Freiheitsbegriff gelten. Eine kleine Gruppe wie die „Klimakleber“ könnten nicht der großen Mehrheit ihren Willen aufzwängen.
„Wir müssen dafür arbeiten, dass die Ränder nicht zu stark werden. Politik muss aus der Mitte herausgemacht werden. Einsatz für die Demokratie ist gefragt, es gibt sie nicht umsonst“, betonte Volker Bouffier. Die Menschen in der DDR seien 1953 bereit gewesen, sich aktiv für die Freiheit einzusetzen, daran müssten wir uns heute orientieren.
Mit dem gemeinsamen Gesang der Nationalhymne klang eine beeindruckende Veranstaltung aus.
Fotos: Stadt Neustadt (Hessen)